#23 POZUZO, OXAPAMPA, TARMA

JUNI 2022

Wir machen uns auf in den Urwald Perus. Wir reisen mit ein wenig Bammel an, denn mindestens ein Duzend Menschen haben uns erzählt das die Straße nach Pozuzo in schlechtem Zustand sei. Aber wir wagen es und haben Glück. Der Ort liegt abgelegen, die Straße ist natürlich nicht mit der A14 zu vergleichen. Zu unserer Erleichterung ist sie aber gut machbar. Da haben wir in Brasilien schon schlimmere Urwaldpisten gemeistert. Fairerweise ist hinzuzufügen das die Straße (bis auf ein paar Stellen) wunderbar trocken ist, in der Regenzeit ist das eine ganz andere Nummer.

Pozuzo schenkt uns eine ähnlich spannende Geschichte wie Dreizehnlinden. Beide Kolonien hatten riesige Herausforderungen zu meistern. Ohne die Arbeit der Dreizehnlindern zu schmälern glaube ich allerdings das es die Pozuziner noch schwieriger hatten. Erstens spielte ihre Geschichte ein halbes Jahrhundert früher, zweitens war die Anreise um ein Vielfaches länger und beschwerlicher. Im Jahr 1857 machten sich Menschen auf, zu einer Reise ohne Wiederkehr in ein fernes und fremdes Land. 180 Tiroler und 120 Rheinländer bestiegen in Antwerpen einen Frachter und zogen auf in die neue Welt. Viele wollten der Armut und Wirtschaftskrise in der Heimat entfliehen, andere packte die Abenteuerlust. Aber alle reisten in der Hoffnung auf ein besseres Leben. Versprochen wurden ihnen eigene Ländereien, Freiheit und Glück in Peru. Nach drei Monaten auf See begann die Landreise in das sehnlichst erhoffte „gelobte Land“. Noch heute berichten die Einwohner von den Strapazen der Reise ihrer Vorfahren. Nach überqueren von über 4.000 Meter hohen Pässen und tagelange Wanderungen durch den Urwald erreichte sie ihr Ziel. Aber angekommen ist es doch nicht wie erwartet, viele Versprechungen wurden nicht erfüllt. Die verzweifelte Lage brachte immer mehr Menschen dazu die Kolonie zu verlassen, um anderswo Arbeit zu finden. So schrumpfte die leidgeprüfte Gruppe auf 160 Personen. Jetzt in Pozuzo angekommen fängt die Arbeit erst an, der Ort muss organisiert und aufgebaut werden. Weiterhin verloren einige Pioniere aufgrund von Tropenkrankheiten, Schlangenbissen und Erschöpfung ihr Leben. Trotz aller Strapazen gaben die zähen Tiroler und Rheinländer nicht auf. Ein Kolonist schreibt, dass er bald mit keinem Bauern in Silz mehr würde tauschen wollen.

Im Laufe der Zeit wurden immer mehr Tochtersiedlungen von Pozuzo gegründet. Das abgelegene Dorf lebte bis zum Straßenbau autark. Erst in den 1970er!!! Jahren wurde eine erste befestigte Straße errichtet. Nun konnte der Handel wachsen, es wurden immer mehr Gebiete gerodet. Aber auch in den 1980er Jahren gibt es weitere Probleme, während der Zeit des kommunistischen „Leuchtenden Pfades“ wurde Pozuzo immer wieder von den Terroristen heimgesucht. Etwa 220 Kilometer entfernt in Tarma lernen wir eine ältere deutsche Dame kennen, die uns vom Terror erzählte. Sie musste mit ihren Kindern nach Lima flüchten, der Mann blieb in Tarma zurück um sein Land zu verteidigen. Spannende Geschichten von einer beeindruckenden Frau. Sie lässt und sogar auf ihrer Hacienda übernachten. Gestärkt machen wir uns am nächsten Tag auf nach Pozuzo.

Heute hat sich die einst „vergessene Kolonie“ zu einer Perle Perus entwickelt. Neben der Viehzucht, arbeiten sie derzeit hart am Tourismus. Dennoch machen die Abgeschiedenheit und die notdürftige Straße den Tourismus zu einer Herausforderung. Unsere ersten Eindrücke des Ortes sind sehr überraschend. Wir sehen wunderschöne Holzhäuser von denen die Bewohner im Umkreis in ihren einfachen Bretterhütten nur träumen können. Vor ein paar Stunden haben wir nichts anderes gesehen als tief verwachsenen Urwald. Der grüne, dunkle Pflanzenteppich zog sich lückenlos vom Flussufer bis zu den Gipfeln der Hügel hoch. Aber angekommen in Pozuzo sieht es fast so aus wie im Oberinntal. Die Flächen sind weitestgehend gerodet und bewirtschaftet. Erst wenn man näher hinschaut stechen einem die Bananenstauden und Kakaopflanzen ins Auge. Ähnlich ergeht es uns mit Maria Egg, einer netten älteren Dame bei der wir unterkommen. Mit ihrer Kochschürze und den strahlenden blauen Augen scheint sie eine waschechte Tirolerin zu sein. Aber auch hier werden wir des besseren belehrt als sie zum Frühstück frittierte Maniokwurzel, Kochbananen und allerlei Tropenfrüchte auftischt. Leider gibt es nicht mehr viele Menschen wie Maria die noch zu gut Deutsch sprechen. Spätestens im 2. Weltkrieg, als Peru den Achsenmächten den Krieg erklärte, wurde Deutsch aus allen Klassenzimmern verbannt und durch Spanisch ersetzt. Natürlich ist das Ganze auch eine Generationsfrage. Das Land Tirol fördert und pflegt die kulturellen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Tirol und den Nachfahren der Kolonisten. Als wir vor Ort sind lernen wir einige Tiroler Studenten kennen die im Rahmen ihrer Bachelorarbeit hier ein Haus aufbauen, das als Begegnungszone für Helfer und Freiwillige dienen soll. Zu unserer Freude machen wir noch Bekanntschaft mit einem freundlichen Tiroler, der damals beim Bau des Krankenhauses geholfen hat und bis heute etliche Male Peru bereist. Wieder eine Bereicherung solche Menschen kennen lernen zu dürfen. Wir genießen die Tage in Pozuzo, spazieren viel, erkunden die Gegend, besuchen Museen. Während sich Flo vor allem für die altertümlichen Landwirtschaftsgeräte und das erste Stromaggregat interessiert, vertiefe ich mich in die etlichen Artikel und Briefe der Kolonisten. Als ich die Namenslisten durchsuche in der Hoffnung Vorarlberger zu finden, fühle mich ein wenig ertappt. Ich verhalte mich wie mein Opa Elmar, er könnte sich hier tagelang beschäftigen. Vielleicht werde ich ja auch einmal so wie er und vertreibe argwöhnisch meine Enkel aus dem improvisierten Ahnenforschungs-Dachboden-Büro. Nicht nur mein Interesse für Geschichtliches verbindet mich mit meinem Opa, die Liebe für Gaststätten überwiegt noch mehr. Daher verlassen wir Pozuzo natürlich nicht ohne ein Schnitzel mit Kartoffelsalat zu verdrücken, das sogar recht gut schmeckt. Die Portionen sind allerdings so riesig das sich ein “Apfelstrudel” (mit Bananen) nicht mehr ausgeht. Kurioserweise hat sich der Apfelstrudel hier komplett verändert, früher gab es hier keine Apfelbäume, daher mussten die Kolonisten auf Bananen zurückgreifen. Heute sind zwar Äpfel verfügbar, aber auf das Bananenstrudel-Rezept wird nicht verzichtet. Im Gepäck haben wir wie mein Onkel Martin, als er damals den Ort bereiste, handgedrehte Zigaretten von eigenen Tabakplantagen. Mal schauen ob wir zu Hause ein paar Mutige finden, die sich trauen diese Stängel zu rauchen. Leider stellen härtere Drogen dem Ort aktuell eine Bedrohung dar. Uns wird abgeraten uns weiter in den Norden des Tales zu wagen. Der Kokainanbau und Transport blühen in dieser abgelegenen Gegend. Alle paar Jahre werden diese Drogenlager an neuem Standort errichtet, aktuell haben sie hier ihren Aufschwung. Also machen wir uns lieber auf den Weg talauswärts. Ein paar Jungs, die von unten bis oben mit Schlamm verdreckt sind wollen auf der Strecke ein paar Soles „Maut“ von uns. Sie haben mit Schaufel und Bickel die kritischen Straßenpassagen ausgebessert. Wir sind erheitert von dem Geschäftssinn dieser Bande und lassen noch ein paar Soles mehr springen. Sie freuen sich und bedanken sich etliche Male bei uns. Angekommen in Oxapampa amüsieren wir uns ein letztes Mal über die Schilder der Restaurants und Geschäfte bis wir das „Tiroler“ Peru hinter uns lassen und uns wieder der Küste nähern.

 

 

Anfahrt, Ticliopass, Tarma

Pozuzo, Oxapampa


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