#21 Q'ESWACHAKA

JUNI 2022

Flo redet schon seit einigen Tagen von nichts anderem als von einer Grasbrücke, die er zu Hause in einer Doku gesehen hat und zufälligerweise ganz in der Nähe sein soll. Ich bin ehrlich gesagt nicht wirklich scharf darauf eine wacklige Hängebrücke irgendwo im Nirgendwo zu überqueren. Zusätzlich ist sie einige Autostunden entfernt und liegt genau in der entgegengesetzten Richtung unserer Route. Aber als wir uns einlesen entdecken wir das die Brücke einmal jährlich neu geknüpft wird, die Alte wird abgerissen und die Neue feierlich eröffnet. Einmal jährlich – im JUNI. Da wird jetzt sogar mein Interesse geweckt. Wir informieren uns und finden den Termin des Festes heraus. Also machen wir uns auf den Weg in das abgelegen Dorf.

Die Anfahrt ist ein Highlight, wir fahren an gleich vier glasklaren, blauen Lagunen auf über 3.000 Meter vorbei. Am Ende der Lagunen geht es bergab und wir können die Schlucht schon entdecken. Obwohl mittlerweile eine Stahlbrücke über dem reißenden Fluss errichtet wurde bestehen die Einwohner der umliegenden Dörfer darauf ihre Kultur zu bewahren. Sie bauen seit 500 Jahren im Juni die Grasbrücke neu auf. Wir fahren also die Kurven runter bis wir am Talboden ankommen. Auf der anderen Seite der Brücke sehen wir schon von der Weite einige Menschen. Wir stellen unser Auto ab und laufen ihnen entgegen. Wir reisen mit ein wenig Bauchweh an, dieser Ort liegt wirklich abgelegen und den Menschen steht eine heilige Zeremonie bevor. Sind wir da als Touristen überhaupt erwünscht? Dürfen wir an den Feierlichkeiten teilnehmen? Wir wagen es einfach und schmeißen uns ins Getümmel. Wir grüßen jeden Einzelnen, halten uns im Hintergrund und beobachten vorsichtig das Geschehen. Unsere Umsichtigkeit wird belohnt, schnell werden die Ersten neugierig und unterhalten sich mit uns. Sie sind überrascht das wir für ihr Bauwerk extra angereist sind. Aber das Interesse ist in der Gemeinschaft wohl gespalten. Während die einen sagen wir sollen unbedingt alles filmen und unglaublich stolz auf ihr Werk sind, beobachten uns die anderen mit argwöhnischen Blicken. Was ich absolut verstehen kann, wir versuchen langsam ihr Vertrauen zu gewinnen und hoffen das sie unsere Ehrfurcht und unseren Respekt gegenüber ihrer Kultur spüren können. Es ist einfach nur besonders, wir sind hier die einzigen Ausländer, abgesehen von einem deutschen Filmteam. Wir sehen gespannt zu wie die Frauen die Gräser weichklopfen und dann geschickt zu Seilen flechten. Einige Stunden später beginnt das Spektakel und die Männer verknüpfen die einzelnen Seile zu großen Tauen, die die Brückenbasis bilden werden. Hier geht es ganz unterschiedlich zu. Auf beiden Seiten der Täler bilden die jeweiligen Einwohner ihren Teil der Brücke. Wir laufen alle paar Stunden hin und her und beobachten das unterschiedliche Treiben. Während auf der Sonnenseite alles gemütlich und ruhig abläuft, herrscht auf der Schattenseite ein reges und lautes Durcheinander. Uns wird sogar Schnaps angeboten und wir nehmen dankend an. Als ich es denn Männern nachmache und den ersten Schluck auf die Erde ausschütte und den Schnaps Pachamama (Mutter Erde) widme, haben sie mir endlich das Vertrauen geschenkt, um den ich schon den ganzen Tag kämpfe. Die Männer freuen sich, dass wir ihre Kultur verstanden haben. Bis am Abend sind alle Seile fertig geknüpft und werden bergab zum Brückenausgangspunkt gebracht. Danach werden wir noch auf der Straße zum Kartoffeln essen eingeladen, diese Gastfreundschaft teilen wir natürlich und plündern unsere Schubladen im Bus bis wir einen Nachtisch gefunden haben. Dankbar für die Erlebnisse legen wir uns abends in den Bus und freuen uns auf morgen, denn dann werden die Taue über die Schlucht gezogen und die beiden Seiten wieder miteinander verbunden.

Am nächsten Tag machen wir uns wieder auf ins Dorf. Heute sind schon mehrere Touristen unterwegs. Wir zählen circa zwanzig Menschen aus aller Welt. Leider schenken einige Touris den Einwohnern nicht viel Achtung. Schade denn gerade heute ist so ein wichtiger, heiliger Tag für sie. Ich begebe mich zu all den anderen Frauen, denn wir dürfen uns jetzt nicht mehr der Brücke nähern. Das ist nun den Männern vorbehalten, die Frauen bringen heute Unglück. Zu meiner Enttäuschung und dem Ärger der Bewohner respektieren manche Touristen diese Feier nicht. Sie trampeln mit den Füßen auf den mühselig geflochtenen Seilen herum, machen aufdringlich Fotos, fliegen sogar mit einer nervigen Drohne über die Köpfe der Menschen hinweg. Natürlich sind vor allem die älteren Frauen irritiert und aufgebracht, wahrscheinlich die erste Drohne die sie in ihrem Leben sehen. Ich versuche mit meinem Grinsen das unangebrachte Verhalten wegzulächeln. Ich frage vor jedem Foto ob es für die Personen in Ordnung ist, wenn ich sie fotografiere. Der größte Teil lächelt mir zu und ich unterhalte mich kurz mit den Damen. Alles wunderbar. Bis ich eine ältere Dame frage ob ich ein Foto machen darf und ich darauf hin den ganzen Ärger der Drohne abkriege. Obwohl wir es die letzten Tage so sehr versucht haben ehrfürchtig zu sein und unser Interesse zu zeigen. Da war ich wohl im falschen Moment am falschen Ort. Ziemlich frustriert entschuldige ich mich und verstaue die Kamera ganz unten im Rucksack. Der ganze Tag wird sie nicht mehr rausgeholt. Wir versuchen dennoch die Feier und das Strahlen in den Augen der stolzen Dorfbewohner zu genießen. Schade das nach dem wunderbaren Tag gestern, heute die Stimmung ein wenig bedrückt war. Wir sind überwältigt was die hier Menschen seit Jahrhunderten praktizieren. Ein magischer Moment als die Seile mit der anderen Talseite verbunden werden. Magisch und für uns unvergesslich.

 

Anreise

Q´eswachaka, fleißige Frauen & Männer


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