#11 TREZE TILIAS, DREIZEHNLINDEN

APRIL 2022

Sonntagnachmittag – wir kommen in Dreizehnlinden an. Endlich können wir Vovó und die Familie in die Arme nehmen. Wiedersehen tut so gut. Auf portugiesisch gibt es einen wundervollen Begriff „Saudades“ der das Gefühl der Sehnsucht, Wehmut, Heimweh nicht besser beschreiben könnte. Saudades ist für die Brasilianer kein Wort, sondern ein Gefühl. Endlich können wir dieses Gefühl besänftigen. Matar a Saudade.

 

Unvorstellbar wie viel Heimweh und Ungewissheit die Auswanderer auf sich genommen haben um den Ort Dreizehnlinden aufzubauen. Nach dem ersten Weltkrieg als extreme Armut und Arbeitslosigkeit herrschten entschieden sich einige mutige Frauen und Männer ihr Heimatland Österreich zu verlassen. Unter Führung von Minister Andreas Thaler, der aus der Tiroler Wildschönau stammte kamen im Oktober 1933 die ersten Auswanderer im Süden von Brasilien an. Brasilien bewarb damals die Einwanderung von Landwirten, auch weil durch die Abschaffung der Sklaverei im 19. Jahrhundert das Riesenland schwer zu bestellen war. Die ersten Jahre waren sehr hart und entbehrungsreich für alle. Die ersten Siedler nannten sich zu Recht Pioniere. Meine Urgroßeltern Maria und Peter Gwiggner waren bei der allerersten Überfahrt, mit weiteren 84 Menschen an Bord. Großmutter Maria war eine der letzten Überlebenden Pioniere in Dreizehnlinden. Ich bin dankbar das ich Großmutter noch kennenlernen durfte und mich, obwohl ich noch ein Kind war als sie verstorben ist, gut an sie erinnern kann.

 

89 Jahre Fleiß und Ausdauer machten aus dem Dorf das mit einfachen Bretterhütten bestückt war das prächtige Dreizehnlinden wie wir es heute kennen. Doch Dreizehnlinden verändert sich. Sehr sogar. Die Stadt ist attraktiv und wächst, der Tourismus boomt aber auch viele neue Wohnungen, ja sogar Hochhäuser werden gebaut. Brasilianer lieben es hier Urlaub zu machen. Es ist aufgeräumt, Blumenkästen schmücken die Balkone, Wetterhähne erheben sich stolz auf den Dächern der Tiroler-Häuser. Es gibt fremde Köstlichkeiten wie Spätzle, Strudel und sogar (für uns ungenießbaren) Leberkäse. Wenn man das Original nicht kennt schmeckt er wahrscheinlich ganz vorzüglich 😊. Allerdings sollte die Tradition und das Vereinsleben in Dreizehnlinden für uns Vorarlberger ein Vorbild sein. Trachtengruppen, Schuhplattler, Chore und die Musikkapelle sind bei jung und alt sehr beliebt. Die Vereine werden auf sehr hohem Niveau betrieben. Den Bewohnern liegt was am Dorf, man hilft und schaut aufeinander, es gibt sogar eine freiwillige Feuerwehr. Es werden wunderbare Feste gefeiert, um die Tradition zu erhalten aber natürlich auch um die Touris bei Laune zu halten. Die Musikkapelle schmettert Melodien, die einem Frühschoppen bei uns alle Ehre machen würde. Aber nicht jeder Trompeter mit Gamsbarthut spricht auch wirklich Deutsch. Über die Generationen ist die Sprache großteils verloren gegangen, zumal in Treze Tilias heute auch Brasilianer und andere Landsleute leben. Flo lernt aber mit großer Freude hin und wieder jemand kennen mit dem er sich endlich ohne große Anstrengung unterhalten kann. Wir sind gespannt wie sehr sich der Ort bis zum nächsten Besuch verändert. Auch im Süden von Brasilien ist man vom Wandel der Zeit nicht geschützt.

Wir sind unendlich dankbar Familie und Freunde wieder gesund anzutreffen. Bis jetzt musste ich mich nicht groß darum kümmern Leute kennenzulernen. Mama war immer dabei und Gespräche entwickelten sich mit ihren alten Bekannten ganz von selbst. Jetzt ist es schon der zweite Besuch für mich alleine im Geburtsort meiner Mama. Eine Herausforderung. Es ist aber wundervoll das Glänzen in den Augen der Menschen zu sehen, wenn ich erzähle das ich die Tochter von Rosi Gwiggner bin. Man merkt das sie sich ehrlich freuen, wenn sie ihren Namen hören. Sie war nicht nur in Braz eine Frau die man einfach gernhaben musste. Ich bin sehr dankbar das es mir gelungen ist neue Bekanntschaften zu machen. Freunde haben sich viel Zeit genommen um diese mit uns zu verbringen, haben uns köstlich bekocht und den ein oder anderen Caipirinha zubereitet. Viele Gründe um nach Brasilien zurückzukommen. Wir haben jetzt schon wieder Saudades…


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