# 48 BUENOS AIRES

Dezember 2022

Buenos Aires, die Stadt mit dem klangvollen Namen. Ich stelle mir einen Ort voller Luft und Liebe vor, innerlich lausche ich schon Fiorentinos-Tönen von „Toda mi Vida“ und rieche den Duft von gegrilltem Rindfleisch. Aber bevor wir endlich diese besondere Stadt entdecken können, entpuppt sich zuerst die Suche nach einer Unterkunft als Herausforderung. In Buenos Aires liegen die Campingplätze wiedermal weit außerhalb der Stadt, daher sind wir auf der Suche nach einem Zimmer im Zentrum mit einem Parkplatz für den Bus. Bei der Planung, unterwegs auf der Ruta 3, mit katastrophaler Internetverbindung und vielen leeren südamerikanischen Versprechungen der Vermieter haben wir uns oft die Haare gerauft. Uns wurde von Gastgebern mehrmals zugesichert das eine Parkmöglichkeit zur Verfügung steht und kurz darauf wieder alles abgesagt. Nach einigen versendeten Emails, Buchungen, Stornierungen und unzählig vergeudeten Nerven, waren wir schon kurz davor unser Buenos Aires-Projekt abzublasen. Aber dann taucht ein Name auf meinem Handydisplay auf: Seve. Oder wie ich ihn nenne: El Ángel Seve. Unser Engel ist ein 40-Jähriger Anwalt, Sommelier und Hobbypilot. Obwohl wir ihn persönlich gar nicht kannten, hat unseren Aufenthalt in Buenos Aires gerettet. Es ist ein großes Problem in der Innenstadt einen Parkplatz zu bekommen, mit unserem 2,60 Meter hohen Fahrzeug, eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit. Aber Seve hat für uns mehrere Parkgaragen abgeklappert und sich nach Preisen und Verfügbarkeit erkundigt, dann er hat uns angeboten das Auto eine Stunde außerhalb beim Haus seiner Eltern unterzustellen und schlussendlich hat unser Engel sogar das Unmögliche möglich gemacht. Da sein Nachbar zur WM nach Qatar gereist ist, hat er uns seinen Parkplatz auf dem Grundstück der Unterkunft klar gemacht. Völlig umsonst, völlig sicher und völlig unkompliziert. Wir sind überwältigt das Seve für uns so sehr an einer Lösung bemüht war. Also freuen wir uns, dass wir jetzt endlich Richtung Buenos Aires starten können und Seve persönlich kennenlernen dürfen. Als ich ihn sehe, bekommt er von mir zuerst eine dicke Umarmung, Im Gegenzug werde ich mit Küsschen auf die Wangen begrüßt. Nur Flo schaut ein wenig irritiert als er die Hand ausstreckt und anstatt einem Händedruck auch ein paar Küsschen bekommt. Aber wie viele Schmatzer will er… Eins? Zwei? Drei? 🤗 Nach der kurzen Konfusion ist schnell ein Abendessen als Dankeschön vereinbart und wir verbringen mit Seve einen wunderbaren Abend, typisch argentinisch mit Bier, Fleisch und Eiscreme.

Am nächsten Morgen machen wir uns mit verschlafenen Augen (ob das den langen Gesprächen oder dem Quilmes-Bier liegt, bleibt dahingestellt) auf um die Stadt zu erkunden. Buenos Aires zu beschreiben ist eine Herausforderung, da die Stadt unglaublich vielfältig ist. Die Stadt ist schon zu Kolonialzeiten gegründet worden und war auch damals schon der Hauptsitz des damaligen Vizekönigreiches von Rio de la Plata. Bevor es eine Großstadt wurde, war es lange Zeit eine kleine kaum bedeutende Gemeinde mit weniger als 100.000 Einwohnern. Erst spät im 19. Jahrhundert ist die Region durch eine große Einwanderungswelle aus Europa wirklich stark gewachsen. Und genau diese Immigranten haben das heutige Stadtbild geprägt. Dabei versprüht beinahe jeder Stadtteil der Millionenmetropole seinen eigenen, unverkennbaren Charme. Historische Gebäude im Zentrum um San Telmo und Montserrat, Villen und Pariser Flair in Recoleta, die lebhaften Straßen voller Fußball und Tangobars im alten Hafenviertel La Boca, das Neubauviertel Puerto Madero und ein ganzes Stadtviertel als große Hipster-Spielwiese mit Craft-Beer-Brauereien und Street Art in Palermo. Da ist wirklich für jeden was dabei. Über jedes einzelne dieser Viertel könnte man ganze Blogeinträge füllen. Auch die Architektur ist vielfältig, verspielte Art Deco-Architektur, klassische Kolonialbauten, moderne Designs, edle Einkaufszentren und gemütliche Trödelläden, Theater und Tango-Konzerte, Touristenparadiese und traditionelle Ursprünglichkeit. Es ist kompliziert Buenos Aires zu beschreiben, da es so unglaublich abwechslungsreich sein kann. Aber was alle Porteño (so werden die Bewohner genannt) miteinander verbindet ist: ihre Lebensfreude. Kurz gesagt, in Buenos Aires, da lässt man es sich gut gehen. Die starke Inflation stärkt dieses Gefühl, da das Geld auf der Bank oder unterm Kopfkissen ohnehin jeden Tag nur an Wert verliert gibt es nur eine sinnvolle Möglichkeit: sein Geld auszugeben. Daher sind die Restaurants und Bars jeden Tag gerammelt voll. Wenn man mit den Argentiniern spricht ist die aktuelle finanzielle Lage eine Voll-Katastrophe, dennoch sind sie der Meinung keine andere Möglichkeit zu haben als ihr Geld auszugeben und wenn überhaupt in Autos oder Immobilien zu investieren. Als wir im August das erste Mal nach Argentinien eingereist sind lag der Peso bei 275, im Dezember ist er schon bei 350. Im Dezember 2022 stieg die Inflationsrate im Gegensatz zum Vorjahr um unglaubliche 94%. Leider scheint keine Besserung in Sicht zu sein, anstatt sich um eine langfristige Lösung zu bemühen, rühmen sich die Politiker damit das sie eine 3-stellige Inflationsrate verhindert haben. Um das Haushaltsdefizit zu finanzieren, druckt die Zentralbank ständig frisches Geld und der Teufelskreis läuft weiter. Zusätzlich wird die Inflation durch die globalen Krisen, etwa Corona und Russlands Krieg gegen die Ukraine verschlimmert. Überraschenderweise trotzen die Porteños allen Sorgen, stoßen trotz der unsicheren Zukunft feucht fröhlich mit einem Glas Malbec an und hoffen auf das Beste.

Wenigstens beim Thema Fußball müssen sie nicht aufs Beste hoffen, hier wissen sie mit absoluter Sicherheit, dass sie DEN BESTEN haben. Ihren Messias MESSI. Wir haben das Glück und können das Achtel- und Viertelfinale in der Hauptstadt miterleben. Die Argentinier sind sehr patriotisch und stolz, von vielen werden sie sogar als überheblich und ignorant beschrieben. Besonders in den Nachbarländern gelten die Argentinier als Machos. Diese Eigenschaften können wir im normalen Alltag überhaupt nicht bestätigen, die Argentinier sind sehr zuvorkommend, aber beim Thema Futbol ticken die Menschen anders. Fanatisch beschreibt es wohl am besten. In Sachen Fußballliebe schenken die Brasilianer den Argentiniern nicht viel. Wenn Messi auf dem Fernsehbild auftaucht schicken Frauen Küsschen durch den Bildschirm nach Qatar und die Männer stellen ihr Bier kurz ab um das Kreuzzeichen zu machen. Flo und ich stehen mitten in der Menge voller weiß-blauen Trikots die alle gemeinsam in einen handelsüblichen Fernseher starren und versuchen ein wenig Bild zu erhaschen. Während ich weniger am Spiel selbst interessiert bin und vielmehr mit einem dicken Lächeln auf den Lippen die Reaktionen der Fans bewundere, schüttelt Flo eher fassungslos den Kopf. 😉 So viel Vaterlandsliebe, Messiliebe und Maradonaliebe ist dann doch ein wenig zu viel für ihn. Neben der ganzen Liebe für ihr Land irritiert mich eher die extreme Feindlichkeit gegenüber brasilianischem Fußball. Kurioserweise wird hier härter gefeiert, wenn Brasilien verliert als wenn Argentinien gewinnt. Wir hören unzählige Schmählieder gegen Pele, Ronaldo und Neymar. Aber zugegebenermaßen ist die Begeisterung und Feierlaune so ansteckend, dass ich sogar anfange die Fanlieder gegen Brasilien lautstark mitzusingen (Bitte nicht den Brasis weitersagen). Es ist wirklich ein Fest, jedes gewonnene Spiel wird so gefeiert als wäre der Weltmeistertitel schon lange ihrer. Die Leute tanzen auf Autos, hängen an Ampeln und ganze Straßenzüge werden durch Fanmärsche lahmgelegt, dabei haben sie noch nicht mal das Halbfinale erreicht. 😎

In meinen Augen ist Buenos Aires eine unglaublich faszinierende Stadt. Mal fühlt man sich wie in Paris, dann wie in Süditalien und im nächsten Moment ist man plötzlich in einem einfachen Einwandererviertel angekommen. Spannende Eindrücke und Geschichten warten hier wortwörtlich an jeder Ecke. Es gibt so viel über Buenos Aires zu berichten, dass würde absolut den Rahmen sprengen. Aber wass ich sagen kann, wir haben 11 Tage in dieser wunderbaren Stadt verbracht und jeden Tag wurden wir mit neuen Geschichten und Begegnungen beschenkt. Sei es der einmalige Friedhof von Recoleta, das legendäre Stadion von La Boca, gewaltige Flohmärkte (mit einem lustigen Fund: ein „St. Anton am Arlberg-Schnapsglas“), südamerika-typische Demonstrationen, Belagerungen indigener Frauen vor dem Parlament, persönliche Feuerwehrhaus-Führungen, Pferderennen mit spielfreudigen Opas, bewundernswerte botanische und japanische Garten, riesige Parks mit gigantischen Bäumen, Tango-Aufführungen auf Kopfsteinpflaster bis hin zu einigen Museumsbesuchen und in der Zeit 140 zu Fuß zurück gelegten Kilometern bei Temperaturen zwischen 30 und 36 Grad. Aber trotz der Hitze können wir uns dank des für uns „günstigen“ Pesos regelmäßig mit einer kühlen Limonade neu stärken. Auch in den Genuss von wunderbaren Restaurant-Besuchen sind wir regelmäßig gekommen, eine leichte Entscheidung, wenn selbst einkaufen und kochen gleich viel kostet wie auswärts essen. Also machen wir es den Porteños gleich und ahmen sie ihn ihrer unerschütterlichen Lebenslust nach. Für uns als Ausländer lässt es sich hier gut leben, auch wenn sich die Argentinier selbst größeren Herausforderungen stellen müssen, sind sie neben der Lebenslust auch in Sachen Optimismus ein echtes Vorbild für uns. Daher reisen wir zuversichtlich dorthin wo die Reise vor etwa einem Jahr angefangen hat. Weiter geht´s nach Uruguay.

Buenos Aires


Cementerio Recoleta


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