# 43 USHUAIA

Oktober 2022

Ushuaia – das Ende der Welt. Oder zumindest die südlichste Stadt der Welt. Ich denke den Titel „Ende der Welt“ beanspruchen mehrere Orte auf unserem Planeten, egal ob südlich, nördlich, westlich oder östlich. Auch in Südamerika ist man sich noch nicht einig ob die Bezeichnung dem Richtigen gebührt. Nach einigen Grenzübertritten zwischen Argentinien und Chile haben wir mittlerweile ein Gespür für die Rivalität der beiden Nachbarländer bekommen. Chile besteht immer noch darauf, dass der Titel „Südlichste Stadt der Welt“, ihrem Ort Puerto Williams gilt. Dieser liegt geografisch gesehen auch wirklich noch ein bisschen südlicher als Ushuaia. Da er aber nur knapp 2.000 Einwohner hat, gilt Puerto Williams als Dorf und nicht als Stadt. Jedoch ist das nur einer von vielen Diskussionsthemen zwischen den beiden Nationen. Aber wie bekannt ist, liebt sich was sich neckt. Flo und ich schmunzeln als wir unser Auto in Argentinien waschen lassen – zwei Männer schrubben fleißig unsere Hecktüre, bis einer dem anderen beinahe die Bürste aus der Hand schlägt. Der Autowäscher meint zu seinem Kollegen er solle gefälligst den Chile-Sticker, den wir aufgeklebt haben, nicht so genau putzen. Dafür polieren sie ihr wunderschönes das Argentinien-Pickerle noch gewissenhaft mit einem Tuch trocken. Auffallend sind auch immer die ersten paar Kilometer nach den Grenzen, hier sind die Straßen immer im besten Zustand, jeder will dem Nachbarland beweisen das seine Strecke noch besser ausgebaut ist als die vom Kontrahenten. Meist ist das aber mehr Schein als Sein, oft endet die tolle Autobahn abrupt nach 10 Kilometern und setzt sich als weniger ruhmreiche Schotterpiste fort.

Auch hier am Ende der Welt ist einiges mehr Schein als Sein. Der Titel Ende der Welt wird in Ushuaia regelrecht ausgebeutet, es gibt kein Kaffee, kein Restaurant ohne die Aufschrift Fin del Mundo, sogar die Tankstelle zieren diese Worte. Natürlich wollen sehr viele Menschen einmal die südlichste Stadt der Welt besuchen, demensprechend touristisch geht es hier zu. Aber neben dem Tourismus spielt hier die Öl- und Gasindustrie, der Fischfang und die Antarktisforschung eine große Rolle. Dieser Zustand wird am besten am Hafen präsentiert, hier drängen sich Ausflugsboote dicht an Containerfrachtern, Fischfangbooten, Forschungsschiffen und Öl-Pipelines. Der Ort gilt mittlerweile in vielerlei Hinsicht als bedeutende Stadt für Argentinien, umso erstaunlicher das Ushuaia mit einer Strafkolonie begonnen hat. Ohne jegliche Infrastruktur wurden Langzeit-Häftlinge auf Feuerland verbannt, errichteten hier wortwörtlich ihr eigenes Gefängnis und mussten eine Eisenbahnlinie bauen. Als sich die Familien und Angehörigen der Wärter hier mit angesiedelt haben entstand nach und nach das Ushuaia das wir heute kennen. Das zweite Gefängnis das errichtet wurde wird heute als Militärbasis genutzt, ein Teil davon wurde zu einem Museum umgestaltet, das wir natürlich mit großem Interesse besuchen. Neben diesem Museum lassen wir uns die anderen Kultureinrichtungen der Stadt auch nicht entgehen. Die Woche vergeht wie im Flug während wir viel über die Antarktisforschung, den Falklandkrieg und den Meereslebensraum lernen. Nachdem wir einige Tage in der Stadt rumspaziert sind, wollen wir dann aber doch noch ein wenig in die Natur. Wir besuchen den Nationalpark und das Ende der Ruta 3. Am nächsten Tag wandern wir zum Gletscher Matrial, nach einigen Höhenmetern stehen wir aber vor einem traurigen Schneehaufen, der nur mehr wenig mit einem Gletscher gemein hat. Unten an der Promenade vom Beagle Kanal hatten wir wahrscheinlich die ganze Zeit mehr von Gletscher vor den Augen – in geschmolzener Form. 🙄

Es ist geplant das wir Ushuaia als Umkehrpunkt unserer Reise ansehen. Vor wenigen Monaten haben wir beschlossen das wir genau hier entscheiden müssen wann es wieder heimwärts geht. Unsere Route führt uns wieder an der Küste hoch bis nach Buenos Aires und dann in den Hafen nach Montevideo. Von dort soll der Bus wieder nach Hause verschifft werden. Allerdings bedarf dieser Prozess einiger Vorbereitung, wir müssen uns um die Rückverschiffung kümmern, Flugtickets besorgen und eine Unterkunft in den Großstädten Buenos Aires und Montevideo buchen. Müssen unseren Familien, Freunden und Chefs bescheid geben. Flo will das Ganze so schnell wie möglich erledigen, währenddessen versuche ich diese unangenehmen Angelegenheiten so weit wie möglich weg zu schieben. Normal liegt diese Hinaus-schieberei gar nicht in meiner Natur, aber hier merke ich schmerzlich, dass unsere gemeinsame Reise doch irgendwann ein Ende finden muss. Am Anfang kroch die Zeit so langsam, aber jetzt gegen Ende läuft alles unglaublich schnell. Nach zwei Tagen Protest von meiner Seite, muss ich doch irgendwann nachgeben und mich mit Flo an den Laptop setzen und alle Angelegenheiten erledigen. Also entscheiden wir gemeinsam, dass der Bus am 21.12.22 in hohe See sticht. Voraussichtlich soll das Schiff am 19.01.23 in Hamburg ankommen. Zur Buchung haben wir dann zusätzlich und völlig gratis einen Zeitlimit erhalten. Jetzt ist es nicht mehr wie gewohnt und wir können völlig ohne Zeitdruck reisen, zugegeben ist das Jammern auf hohem Niveau. Wir haben jetzt noch knapp zwei Monate im Bus, und einen Monat ohne Bus in Montevideo und Hamburg vor uns. Trotz dem End-Datum haben wir uns fest vorgenommen die restliche Zeit noch zu genießen und uns nicht aus unserem gewohnten Tempo bringen zu lassen. Auch wenn die Buchungen aufgrund der schlechten Internetverbindung viele Nerven gekostet hat fühlt es sich jetzt, wo alles erledigt ist, zugegebenermaßen sehr gut an. Die Entscheidung heim zu fahren brachte einige Themen zum Vorschein die wir bis jetzt nur weniger ernsthaft besprochen haben. Unsere Zukunft steht uns offen, das ist ein wunderbares Geschenk, genauso wie diese Reise ein Geschenk ist. Allerdings bringen Neuanfänge und Umstrukturierungen einige Herausforderungen mit sich. Auch wenn uns das ein wenig nervös macht sind wir zuversichtlich, dass sich alles zum Guten wenden wird. Langsam freuen wir uns trotz dieser unvergesslichen Zeit auch wieder auf Zuhause. Wir vermissen unsere Familie, Freunde und Vorarlberg. Aber was noch viel wichtiger ist, wir vermissen anständiges Schwarzbrot, Kässpätzle und die gemeinsame Gmüatliche-Sunntigobat-Paluda-Pizza mit Nando und Laura. Bis dahin gilt nur noch zu klären wer anruft und wer nach Dalaas fährt um sie abzuholen 😊.


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