#39 CARRETERA AUSTRAL - PATAGONIA CHILE
Oktober 2022
Endlich angekommen im Herzen Patagoniens trägt Flo seine Patagonia-Kleidung noch ein wenig stolzer als zu Hause - und das mit Recht – das Wetter hier ist unberechenbar. Die Wetterberichte zu googlen geben wir ziemlich schnell auf, die Vorhersagen treffen sowieso nie zu. Wie waschechte Vorarlberger kennen wir kein schlechtes Wetter, außerdem haben wir dank Stefan und seinem Walchbewegt über die letzten Jahre unsere Kleiderschränke bestens ausgestattet. Daher schlüpfen wir jetzt getrost bei Wind und Regen in unsere Wanderschuhe und packen neben der Jause noch Wechselkleidung in den Rucksack. Auch wenn auf den ersten Blick fast alles wie Daheim aussieht, werden wir JEDES Mal mit unglaublicher Natur belohnt. Die schneebedeckten Berge erinnern uns an die Alpen, weiter südlich tauchen die ersten Nadelbäume auf und die Wälder ähneln den unseren zu Hause immer mehr. Aber erst bei näherem Hinschauen entdeckt und spürt man die Magie von Patagonien. Das Meer und die Berge liegen unglaublich eng aneinander. Beispielweise sichten wir in Puyuhuapi beim Morgen-Spaziergang Delfine die sich im Fjord tummeln und am mittags wandern wir schon zum Gletscher Ventisquero Colgante in nur 20 Kilometern Entfernung. Getoppt werden diese Naturspektakel von unglaublicher Ruhe, nur selten treffen wir andere Menschen an. Wir reisen in der Nebensaison, aktuell ist hier Spätwinter/Frühling, die Hauptsaison startet erst im Dezember. Das hat Vor- und Nachteile. Wir genießen die verschlafenen Ortschaften, die wenig besuchten Campingplätze und natürlich die friedliche Natur. Im Gegensatz dazu müssen wir mit noch-eingewinterten Unterkünften, ungeputzten Toiletten und viel Regen leben. Wir motzen jeden Morgen aufs Neue rum, wenn wir wieder in die nassen Schuhe und die feuchte Regenjacke vom Vortag schlüpfen. Aber diese Unannehmlichkeiten sind spätestens, als wir vor dem x-ten Wasserfall stehen, wie weggeblasen. Wir sind wirklich verzaubert von der gewaltigen Natur, besonders von den glasklaren Seen und Bächen. Flo bleibt bei jedem Fluss erstaunt stehen und ich muss mir zum hundertsten Mal den folgenden Satz anhören: „Dagegat isch jo sogar d Alfenz a Dreckbrüah.“ Daher antworte ich schon automatisch zu hundertundersten Mal mit: „Jo und d Ill z Nüziders erst recht.“ 😉
Hier im ruhigen, wenig besiedelten Patagonien müssen wir uns wohl oder übel noch mehr mit uns selbst beschäftigen. Außer den Nationalparks gibt es nicht sonderlich viel zu entdecken, die Internetverbindung ist meistens katastrophal, unsere Bücher alle schon aufgelesen. Wir sind 24/7 zusammen, nur die 10-Minuten Dusche hat jeder für sich alleine. Mit ein wenig Glück werden unsere durchgefrorenen Körper mit einer HEISSEN Dusche belohnt. Was hier leider nicht immer wahr wird… Wenn man täglich fast durchgehend auf so engem Raum zusammenlebt kracht es natürlich mal hier und dort, wenn das nicht so wäre, wäre es auch nicht normal. Aber spätestens bis zum Abend müssen wir uns wieder versöhnt haben, von hier aus kann ich nicht mal schnell ins Rösslefeld flüchten und mich in meinem Kinderbett verkriechen. 🙈 Trotz manchen Reibereien bin ich unglaublich froh und erleichtert, dass wir die Reise so gut zusammen meistern. Wir zwei sind ziemlich blauäugig in dieses Abenteuer gestartet, obwohl wir schon seit Jugendjahren zusammen sind, haben wir bisher noch nie gemeinsam gewohnt. Von einem Tag auf den anderen das behütete Umfeld zu verlassen, auf knapp 5 Quadratmeter zusammen zu zuziehen, in einem 1,20 Meter breiten Bett zu schlafen und jeden Tag aufs Neue zu meistern, birgt einige Herausforderungen. Aber schlussendlich sind wir zwei unglaublich dankbar zusammen unterwegs sein zu können, viel gemeinsam zu erleben und uns hoffentlich lange Jahre an diese besondere Zeit gemeinsam zurückerinnern zu können.
Ganz nebenbei bekomme ich auf unserer Reise jeden Tag neue Lektionen, besonders hier an der Carretera Austral wird mir klar das nicht immer alles perfekt sein muss um glücklich zu sein. Ja, liebe Apotheken-Kollegen ihr hört diesen Satz aus meinem Mund. Vielleicht werdet ihr zu Hause überrascht sein und ich kann meinen Beinamen „Monk“ endlich ablegen. 😁 Flo meint von diesem Erfolg bin ich noch meilenweit entfernt aber mit jedem Meter den ich dem Ziel näher komme mache ich meinen und eueren Alltag (vielleicht nicht unbedingt besser) aber auf alle Fälle einfacher. 😊 Jeder hier hat ein Chaos um seine Hütte, Brennholz liegt kreuz und quer im Garten verteilt, Müll und Gerempelt soweit das Auge reicht. Aber niemand stört sich dran. Keiner verurteilt seinen Nachbarn, weil er meist selbst die größere Sauerei als sein Nebenan hat. Man merkt das diese Gemeinden ab vom Schuss sind. Hier wird nichts weggeschmissen, so abgelegen kann jeder alles noch irgendwie und irgendwann mal brauchen. Und wir werden wieder mal daran erinnert, dass obwohl diese Menschen auf einiges verzichten müssen, sie nicht unbedingt unglücklicher sind als andere. Oft denke ich zurück an einen älteren Mann den ich beobachtet habe wie er sein Gartentor streicht. Als er es einhängt lache ich noch kurz, weil ich denke er hätte das Tor falsch eingebaut. Die schöne Seite zeigt nach innen und die unschöne Rückseite zur Straße. Bis ich merke, dass er es ganz bewusst so montiert hat, ihm ist völlig egal ob sein Grundstück von außen ansehnlich ist, wichtig ist das die neugestrichene Seite von seiner Gartenbank aus zu sehen ist. In Vorarlberg hätte man das wahrscheinlich genau anders rum gemacht… Flo meint wir sollten uns das als Vorbild nehmen. Ich meine man könnte einfach beide Seiten schön streichen? 🤷♀️
Nach einem Monat auf der Carretera Austral und dem chilenischen Patagonien wollen wir uns aufmachen in den argentinischen Teil von Patagonien. Enttäuscht ist nicht das passende Wort für die Carretera Austral aber doch ein wenig desillusioniert verlassen wir diese eigentlich so legendäre Straße. Wir haben von dieser sagenumwobenen Strecke wahrscheinlich zu viel erwartet. Etliche Berichte haben diese Straße als DAS Abenteuer schlecht hin umworben. Von Asphalt-freien-Straßen, winzigen Dörfern und Lebensmittel-Engpässen wird ständig berichtet. Also haben wir uns vorab mit allem eingedeckt, haben noch extra Nudeln, Dosengemüse und Müsliriegel gekauft – jetzt lachen wir über uns selbst. Auch wenn das südliche Chile abgelegen ist bekommt man hier alles ohne Probleme. Natürlich gibt es keine großen Supermärkte, nicht jeden Tag ist das komplette Sortiment verfügbar und es gibt keine 10 Sorten Obst - aber verhungern wird man hier auf keinen Fall. Auch die Schotterstraßen gehören teilweise schon der Vergangenheit an, wir schätzen ein Drittel der Straßen ist bereits asphaltiert, besonders der nördliche Teil der Strecke ist pipifein ausgebaut. Was glücklicherweise unseren Bus schont und die Unterhaltungen während der Fahrt erleichtert. Allerdings raubt die befestigte Straße jede Menge vom Abenteuer- und Freiheitsgefühl. Auch wenn sich das Abenteuer nicht ganz wie erwartet herausgestellt hat, war es schlussendlich eine wunderschöne Strecke (auch auf dem asphaltierten Teil) mit einigen Fähren-Überfahrten, mit oft langen Abschnitten ohne eine Menschenseele, mit unzähligen verschneiten Bergspitzen und grandiosen Landschaften. Die Zeit bleibt nicht stehen, auch hier am gefühlten „Ende der Welt“ nicht. Die Region verändert und entwickelt sich. Wir bestimmt auch ein wenig. Und das ist gut so.
Cochrane, Nationalpark Patagonia



















Puerto Rio Tranquillo, Lago General Carrera














Coyhaique, Reserva Nacional















Puyuhuapi, Nationalpark Queulat















Chaiten, Nationalpark Pumalin














Puerto Montt, Hornopiren

















